sabato 5 gennaio 2013

DIAZ-Filmvorführung | großes Interesse

Auf großes Interesse ist die Vorführung des Films DIAZ Ende Dezember im Ost-West-Club in Meran gestoßen. Vor allem junges Publikum folgte der filmischen Rekonstruktion der Ereignisse in der Diaz-Schule beim G8-Gipfel in Genua 2001 und der anschließenden Diskussion.
Offensichtlich gab es einerseits ein großes Unwissen, was tatsächlich in diesen Tagen passiert ist, andererseits aber auch ein starkes Bedürfnis, sich mit jenen Vorfällen auseinander zu setzen, für die die Namen Carlo, Diaz und Genua stehen.
Insbesondere in Südtirol gibt es eine große Sensibilität für staatliche Repression und Politik mit "polizeilichen Mitteln" aufgrund der Erfahrungen mit der Zeit des Faschismus und des Post-Faschismus, die Repression nach der Feuernacht oder jüngsten Ereignissen in Meran 2009.

Im Anhang das Skript des Impuls-Vortrags für die Diskussion.

Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema ist das Buch "Die blutigen Tage von Genua - G8-Gipfel, Widerstand und Repression" aus dem Laika-Verlag empfohlen.

Skript: Staatliche Gewalt in Zeiten der Krise
J. Zöschg

Als ich gefragt wurde, ob ich ein kurzes Input-Referat für die an die Filmvorführung anschließende Diskussion halten könnte, musste ich mir zunächst einmal darüber im Klaren werden, was denn in der DIAZ- Schule überhaupt stattgefun-den hat und welche Relevanz das heute, Jahre später, noch hat. Oberflächlich betrachtet, haben wir es mit einem Exzess staatlicher Gewalt zu tun und in der Tat würde ich die Vorgänge damals als einen Exzess charakterisieren, zugleich aber es nicht dabei belassen. Der Überfall auf schlafende Demonstrant_innen war nicht eine Überschreitung des Normalen, welche es als solche zu skandalisieren gilt, was Liberale gerne tun. Der Skandal ist nicht diese punktuelle Überschreitung, sondern vielmehr das System der Herrschaft, welches zu seiner Stabilisierung immer wieder auf einen solche Exzess zurückgreift. Doch dazu später mehr.
Zunächst möchte ich mich noch kurz mit dem Gewaltbegriff als solchen beschäf-tigen. In den öffentlichen Debatten, oder genauer gesagt  denDiskursen der Me-dien wird immer nur eine Seite der Gewalt betrachtet, nämlich Gewalt als sicht-barer Ausbruch, Gewalt als Event, als Exzess, Gewalt als Ereignis. Wir konnten dies etwa bei den Ausschreitungen in den englischen Vorstädten mitverfolgen, wo der Ausbruch einer nihilistischen Gewalttätigkeit skandalisiert wurde. Was dabei immer ausgeblendet wird, ist die strukturelle Gewalt die in einem kapita-listischen System herrscht und die derartige Eruptionen  überhaupt erst hervorruft. Diese Gewalt, z.B. dass unnötigerweise Millionen von Menschen auf dieser Erde verhungern, oder aber die Verursacher_innen der aktuellen Krise von dieser auch noch Profitieren, wobei im selben Moment in Griechenland aufgrund der Sparpolitik die gesundheitliche Grundversorgung weiter Teile der Bevölkerung kaum noch aufrechterhalten werden kann, diese Form der Gewalt wird normalisiert, d.h. sie gilt nicht als Gewalt als solche, sondern als „Lauf der Dinge“. In dieser ideologischen Konfiguration zwischen der normalisierten Gewalt eines unmenschlichen Systems und der moralisierten Gewalt, der Gewalt als hereinbrechendes Ereignis, findet die herrschende, öffentliche Auseinandersetzung statt. Dies ist aber problematisch und falsch, wir können Gewalt als offener Ausbruch nicht ohne die strukturelle Gewalt vernünftig verstehen.
Was in Genua nun passiert ist, ist als öffentliche, als politische Gewalt zu begrei-fen, als staatliche Repression. Wie ich eingangs bereits angedeutet habe, ist diese eben nicht als der Exzess im Sinne des korrumpierten, anormalen Ausbruchs staatlicher Gewalt zu verstehen, eine Gewalt die eigentlich nicht in einer westlichen Demokratie existieren sollte. Genua und den Überfall auf die DIAZ- Schule sollten wir nicht in diesem Sinne skandalisieren. Wenngleich augenscheinlich ein korruptes Element vorhanden war, z.B. das Fälschen von Beweisen seitens der Polizeikräfte, sollten wir nicht in die Falle tappen, dies als den totalen Gegensatz zum Staat und seinem Recht zu interpretieren. Vielmehr sollten wir dieses Ereignisse in eine reihe historischer Ereignisse einordnen, beginnend bei der Niederschlagung der Pariser Kommune (1871). Die Niederschlagung der Protestbewegung in Genua war gewissermaßen die Niederschlagung der Kommune des 21. Jh. Es handelt sich hierbei um einen Moment, in dem die Herrschenden als politische Klasse in Erscheinung treten und unerbittlich zeigen, wer am Ende am längeren Hebel sitzt. So gesehen bewegt sich DIAZ nicht außerhalb des bürgerlichen Staates und des Kapitalismus, sondern ist Teil all dessen, Teil der Herrschaft. Wie ist das zu verstehen? Der französische Philosoph Alain Badiou gibt uns hierfür wichtige Hinweise. Er erachtet den Exzess der Herrschaft nicht als das Außergewöhnliche, das eigentlich nicht sein sollte, sondern als Bestandteil der Herrschaft selbst. In Bezug auf den modernen Staat tritt dieser laut Badiou als Repräsentant der Interessen der Bürger_innen auf, zumindest was seine for-male, gesetzlich geregelte Struktur betrifft. Damit die Macht des Staates aber aufrechterhalten bleibt, und zwar auch über eine Legitimationskrise des Staates selbst hinaus, bedarf es noch etwas anderem, da die Legalität immer die Legiti-mität braucht. Bei der Machtausübung des Staates schwingt deshalb immer eine obszöne Botschaft mit, eine die sagt „letzten Endes kann ich machen was ich will, ich kann dich vernichten, wenn ich es möchte“. Für Badiou ist der obszöne Exzess notwendiger Bestandteil staatlicher Herrschaft. Der Philosoph Slavoj Zizek meint dazu, ich zitiere: „Das Gesetz kann seine Autorität nur aufrechterhalten, wenn die Bürger in ihm das Echo der obszönen, bedingungslosen Selbstbehauptung vernehmen.“ Auf ähnliches zielte auch der italienische Philosoph Antonio Gramsci ab, wenn er die Herrschaft in einer bürgerlichen Gesellschaft als Hegemonie, d.h. „Konsens gepanzert mit Zwang“ definierte. Ob es zum Exzess kommt, zum offenen Ausbruch der Repression, zum obszönen Exzess der Herrschaft, hängt dabei von vielem ab. Vor allem aber davon, frei nach Gramsci, ob auch bei den Beherrschten der Konsens existiert oder eben nicht existiert, dass die Herrschaft gut ist, oder, wie das heute gerne der Fall ist, die Herrschaft gar nicht als solche wahrgenommen wird.
Natürlich finden wir einige Spezifika, welche vorwiegend mit der politischen Kultur des Landes Italiens zu tun haben. Ich denke da etwa an eine mangelhafte Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit, eine Kontinuität faschistischer Ideologie in den Streit- und Polizeikräften usw... Auch, möchte man das Gesche-hen in Genua genauer analysieren, müssten die vier zentralen Akteure, die Regierung, die Polizei, sowie die Medien und die Demonstrant_innen unter die Lupe genommen werden, um zu sehen, wem es wie gelang das Bild darüber zu prägen, was legitim und was unlegitim ist. Dabei handelt es sich aber eher um eine Frage nach dem politischem Umgang mit den Ereignissen,  nachdem die Repression bereits geschehen ist. Mir geht es aber, wie bereits skizziert, um etwas grundsätzlicheres, etwas Allgemeines im Spezialfall Genua, nämlich um den Modus bürgerlicher, kapitalistischer Herrschaft. In Zuge dessen möchte ich an Stuttgart 21 erinnern, eine Protestbewegung in Deutschland, dessen Polizeikräfte nicht gerade in ganz Europa dafür bekannt sind, Zuchtstätten faschistischer Ideologie zu sein. Auch in Stuttgart ging die Polizei mit großer Brutalität vor und wurde dabei von der Landesregierung politisch gedeckt, genauso wie damals in Genua, als die Berlusconiregierung die Polizeikräfte in Schutz nahm. Hierin erkenne ich das Allgemeine, staatliche Repression ist dann wahrscheinlich, wenn breite Teile der Gesellschaft die Gefolgschaft verweigern, wenn der Konsens bröckelt, denn dann beginnt der Zwang  zu herrschen.
Am Ende möchte ich noch einen kurzen Bogen zu aktuelle Entwicklungen span-nen. Was bereits zu Beginn der 80er Jahre begann, nämlich die Umstrukturierung der Gesellschaft entlang neoliberaler Vorstellungen, wogegen sich die Pro-teste in Genua auch zentral richteten, nämlich gegen eine neoliberale Globalisierung, wird von den Eliten bis heute, trotzt Krise nicht nur fortgeführt, sondern sogar radikalisiert. Wir brauchen nur nach Griechenland, Portugal, Spanien schauen und selbstverständlich auch auf Italien. Die Austeritätspolitik er Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds  und der Europäischen Zentralbank, gestützt durch eine Hegemonie der nordischen, exportorientierten Staaten wie Deutschland, Holland oder Österreich, führt zu einem Zusammenbruch der Sozialsysteme und einem gewaltigen Ausmaß an Verelendung. Die europäische Integration  ist bis heute als ein vorwiegend ökonomisches Projekt zu begreifen, sie hat dabei keine wirkliche europäische  Zivilgesellschaft hervorgebracht. Deshalb haben europäische Vorhaben es so schwer, einen Konsens in den verschiedenen Bevölkerungen überhaupt erst zu etablieren, da ihnen der „direkte“ Zugang quasi fehlt und sie die subalternen Klassen – um mit Gramsci zu sprechen – nur sehr ungenügend in ein gemeinsames Projekt integrieren können. Die EU war von Anbeginn ein Elitenprojekt, darüber kann es gar keinen Zweifel geben, das hat schon mit Monnet begonnen, der Federführend war bei der Vereinigung der Kohlen- und Stahlindustrie Deutschlands und Frankreichs. Diese Eliten halten jetzt aber, trotz Krise und aufbegehren weiter Bevölkerungsteile, an ihrem Pfad einer neoliberalen, europäischen Integration fest. Der Neoliberalismus als Ideologie entpolitisiert die Politik, er macht aus der Politik eine Verwaltungstätigkeit, eine Frage technischer Machbarkeit und klammert die Frage nach den Interessen scheinbar aus. Das führt zu einer polizeilicher Verwaltung von Klassenkämpfen, von Protesten und gesellschaftlichem Aufbegehren, etwas, was wir heute schon in ganz Europa beobachten können. Es muss vor einer neuen, sich formierenden autoritären Staatlichkeit gewarnt werden, von einem „autoritären Etatismus“, wie das der Theoretiker Nicos Poulanzas nennt. Staatliche Repression wird uns vermutlich  und leider noch eine Weile beschäftigen. Abschießen möchte ich deshalb mit einer Frage, die wir heute hier sicher nicht befriedigend beantworten können, der wir uns aber stellen müssen: Was tun?

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